Ist eine Eigenbedarfskündigung bei Mietern im hohen Alter gerechtfertigt?

In einem Gerichtsurteil in Berlin musste sich das Landgericht mit der Problematik beschäftigen, unter welchen Umständen das Alter des bisherigen Mieters bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs einen Härtefall i.S.d. § 574 I 1 BGB darstellen kann, der das Vermieterinteresse an der Eigennutzung übersteigt (LG Berlin 67. Zivilkammer, Urt. V. 12.03.2019 – 67 S 345/18).

Sachverhalt:

Die 84- und 87-jährigen Beklagten wohnen seit 18 Jahren in einer Wohnung zur Miete. Die neue Eigentümerin (Klägerin) der Wohnung wurde im Juli 2015 in das Grundbuch eingetragen und erklärte daraufhin den Beklagten die Kündigung wegen Eigenbedarfs zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Als Begründung führte sie an, dass sie nicht weiter mit ihrem erwachsenen Sohn zur Miete zusammenleben wolle, sondern in der von den Beklagten bewohnten Wohnung. Es folgten zwei weitere Eigenbedarfskündigungen im Jahr 2016 und sechs außerordentliche verhaltensbedingte Kündigungen.

Das erstinstanzliche Gericht AG Berlin-Mitte holte ein Sachverständigengutachten zu den Kündigungsfolgen für die Beklagten ein und wies im Rahmen einer Härtefallabwägung die Klage im Oktober 2018 ab (Az.: 20 C 221/16).

Auch das Berufungsgericht LG Berlin wies die dagegen eingelegte Berufung zurück.

Begründung:

Gem. der §§ 573 ff. BGB entschied das Gericht unter verhältnismäßiger Abwägung des Erlangungsinteresses der Klägerin und dem Bestandsinteresse der Beklagten an dem Mietverhältnis für ein Überwiegen der Mieterinteressen im vorliegenden Fall.

Für die Beurteilung einer Härte i.S.d. § 574 I 1 BGB sind alle aus der Kündigung erwachsenen Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art heranzuziehen. Dabei genügt zwar bereits die ersthafte Gefahr eines Eintritts. Allerdings müssen die Konsequenzen dabei stärker ausgeprägt sein als die mit einem Wohnungswechsel typisch verbundenen Unannehmlichkeiten.

Den Hauptgrund für einen Härtefall sah das Berufungsgericht in dem hohen Lebensalter zum Zeitpunkt der Kündigung, insb. in Verbindung mit der Verwurzelung am Ort der Mietsache.

Eine derartige Kündigung würde i.d.R. vor allem alte Menschen härter treffen, weil sie dadurch zusätzlich zu zahlreichen altersbedingten Beeinträchtigungen auch noch die Wohnung als Mittelpunkt ihrer privaten Existenz verlieren würden. Eine andere Beurteilung käme allerdings in Betracht, wenn der Mieter den Verlust ohne weiteres (z.B. durch zweiten Wohnsitz) kompensieren könnte.

Für ein Überwiegen des Klägerinteresses reicht es nicht aus, wenn der Eigentumswunsch nicht auf eine ganzjährige Nutzung gerichtet ist und dabei ein bloßer Komfortzuwachs sowie die Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile im Vordergrund stehen. Vielmehr müsste das Interesse über ein gewöhnliches „berechtigtes Interesse“ hinausgehen.

Dies war hier allerdings nicht der Fall, sodass das erstinstanzliche Urteil berechtigterweise bestätigt wurde.

Folge:

Bei einer Eigenbedarfskündigung ist neben dem Erlangungsinteresse des Vermieters auch das Bestandsinteresse des Mieters zu berücksichtigen und dabei ein verhältnismäßiger Ausgleich zu schaffen. Gerade in Hinblick auf die Tatsache, dass ältere Mieter schwer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln eine bezahlbare Wohnung finden und sich in ihrer neuen Umgebung eingewöhnen können, ist die Entscheidung als eine „Schutzentscheidung“ für ältere Mieter anzusehen. Aber auch nach dieser Entscheidung bleibt es in der Rechtsprechung und Literatur strittig, ob das hohe Alter eine rechtfertigende Härte i.S.d.  § 574 I 1 BGB begründen kann. In Zukunft werden sich daher potenzielle Käufer mit Eigenbedarfsabsicht informieren, wie es um die Auszugswilligkeit der bisherigen Mieter steht.