Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes

Am 07. Februar 2019 musste sich der 4. Senat für Familiensachen des OLG Brandenburg mit der Frage auseinandersetzen, unter welchen Voraussetzungen bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren ein teilweiser oder vollständiger Sorgerechtsentzug in Betracht kommt, also ein Eingriff in Art. 6 Abs. 2 GG gerechtfertigt wäre.

 

Sachverhalt:

Der 14-jährige Antragssteller beantrage vor Gericht den einstweiligen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts seiner Mutter und die Unterbringung in einer Einrichtung der Jugendhilfe. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen das erstinstanzliche Urteil auf Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts blieb ohne Erfolg und wurde durch das OLG Brandenburg zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Folgenabwägung zwischen den Nachteilen für die Beteiligten bei Unterbleiben der einstweiligen Anordnung und einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren sowie den Nachteilen im Fall einer Eilentscheidung und derer etwaiger späteren Aufhebung durch die Hauptsache zur Prüfung einer einstweiligen Entziehung der elterlichen Sorge ist nicht vom einem bestimmten Ausmaß der Aufklärung des Sachverhaltes abhängig. Anders wäre nur dann zu entscheiden, wenn lediglich so wenig oder vage Anhaltspunkte ersichtlich sind bzw. die Erkenntnis auf unzuverlässigen Quellen beruht, sodass eine Folgenabschätzung nicht möglich wäre.

Bei der Gefahrenabwehr kommt es auf das Verhältnis zwischen der Wahrscheinlichkeit des bevorstehenden Schadens und dessen Gewicht für das gefährdete Rechtsgut an. Im vorliegenden Fall konnte der Antragsteller mit seinem Auftreten und seinen Schilderungen zweifelsfrei überzeugen. Einem jugendlichen Kind, das sich dem erzieherischen Einfluss der Eltern verschließt, droht schwerwiegender Schaden.

Sollte erst in einem Hauptsacheverfahren zugunsten des Antragstellers entschieden werden, so sei der sich ohne Eilentscheidung in der Zwischenzeit für die Kindesentwicklung verschärfende Schaden eventuell nicht mehr zu beheben. Andersherum wäre die einstweilige Anordnung zwar materiell rechtswidrig, die Folgen für den Jugendlichen allerdings nicht so schädlich. Des Weiteren wird die einstweilige Anordnung ohnehin spätestens drei Monate später durch das Amtsgericht überprüft.

 

Folgen der Entscheidung:

Bei einstweiligen Anordnungen in Kindschaftssachen gilt in besonderem Maß das Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Bei einer ungesicherten Tatsachengrundlage kann umso leichter entschieden werden, je schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist. In besonderen Fällen, wie bei Hinweisen auf körperliche Misshandlungen, Kindesmissbrauch oder einer Vernachlässigung des Kindes, die gesundheitsgefährdende Formen besitzt, kann von einer Sachverhaltsaufklärung abgesehen werden. Die gebotene Intensität ergibt sich aus Art. 6 Abs. 2 GG (Erziehungsrecht der Eltern) sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG (staatlicher Schutz für das Kind).

 

Die Entscheidung ist nunmehr hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitsgrade (hinreichende Wahrscheinlichkeit und ziemliche Sicherheit) bei der Frage, ob eine  Kindeswohlgefährdung vorliegt, sowohl auf Tatbestandsebene als auch auf der Rechtsfolgenseite heranzuziehen.