COVID-19 – Familienrecht
Umgang – Verweigerung wegen Corona?
Die Corona Pandemie stellt getrenntlebende Familien vor noch nie da gewesene neue Herausforderungen, für die es bislang keine gerichtlich entschiedenen Präzedenzfälle gibt, auf die man zurückgreifen könnte. Nachfolgend stellen wir daher unsere Rechtsauffassung dar.
Während es zu immer währenden Auseinandersetzungen über Fragen zwischen getrennt lebenden Eltern kommt, welche Bekleidung für welche Witterung die richtige ist, welche Medikamente verabreicht werden dürfen, welche ärztlichen Eingriffe angebracht und welche abzulehnen sind, ob Fleisch gegessen werden darf oder nicht bietet die Corona Krise eine neue Dimension: Behördliche Anordnungen, Verbote und Empfehlungen, Kontaktreduzierung, Kontaktverbote und regionale Ausgangssperren.
Die Eltern haben ein gemeinsames Sorgerecht – das Kind lebt im Residenzmodell nur bei einem Elternteil
Der Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, kann in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens alleine entscheiden, § 1687 BGB. Alltagsangelegenheiten sind solche, die keine tiefgreifenden Auswirkungen auf die Kinder hat (z.B., ob das Kind ins Schwimmbad gehen darf, ob es sich mit Schulkameraden treffen darf, bei Erziehungsfragen im täglichen Leben). Das von der Bundesregierung empfohlene, von den Ländern angeordnete Kontaktverbot hat die gesamtgesellschaftliche Verantwortung im Blick, um die Ansteckungswelle zu verlangsamen, Andere zu schützen, damit das Gesundheitssystem nicht (frühzeitig) an seine Grenzen gelangt. Folglich kann der Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, eigenverantwortlich entscheiden, wohin er mit dem Kind geht, solange er damit die Anordnungen einhält und nicht gegen Verbote verstößt. Ohne weiteres kann der Elternteil Kontaktverbote strenger als behördliche Anordnungen handhaben, also z.B. dem Kind untersagen, Kontakte zu einer bestimmten fremden Person zu vermeiden.
Ist ein Kind gesundheitlich eingeschränkt und gehört deshalb zu einer Risikogruppe, darf der Elternteil, bei dem das Kind lebt, aber selbstverständlich auch der jeweils andere Elternteil, der ein Umgangsrecht hat, das Kind nicht unnötigen Gesundheitsgefahren aussetzen. Ein Veto des jeweils anderen Elternteils muss deshalb in diesen Fällen berücksichtigt werden. In diesem Fall steht eine gegebenenfalls lebenswichtige Gesundheitsfrage im Raum, die das Sorgerecht auch desjenigen Elternteils betrifft, der lediglich ein Besuchsrecht hat, nämlich die Gesundheitssorge. Gehört der Elternteil, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt nicht hat, einer Risikogruppe an, wird sorgfältig abzuwägen sein, ob und in welchem Umfange der Umgang gewährt werden kann, soll und muss oder, ob er unter Umständen für einen gewissen Zeitraum eingestellt werden muss.
Das Kind wird im Wechselmodell
Das zuvor Gesagte gilt sinngemäß für jeden der Elternteile. Jeder Elternteil muss während der Betreuungszeit eigenverantwortlich entscheiden. Wegen der bekannten Inkubationszeit im Falle von Corona von erfahrungsgemäß 5-6 Tagen in den meisten Fällen dürfte sich ein Wechsel in den jeweiligen Haushalt der Eltern entweder von Woche zu Woche oder alle zwei Wochen empfehlen. Sollte einer der Eltern oder das Kind selbst infiziert sein bestünde bei zweiwöchigem Rhythmus eher eine Chance des rechtzeitigen Erkennens und damit der Möglichkeit zur Reaktion durch rechtzeitiges Aussetzen des Umgangs.
Alleinige Sorgerecht eines Elternteils
Hat ein Elternteil das alleinige Sorgerecht oder das alleinige Recht der Gesundheitssorge, kann er eigenverantwortlich alle Maßnahmen treffen, die mit der Gesundheit des Kindes zu tun haben unabhängig von etwaigen Einwendungen des jeweils anderen Elternteils. Sofern der Umgang des jeweils anderen Elternteils hierdurch betroffen ist wird im Einzelfall zu fragen sein, ob es sich um ein Kind handelt, das zur Risikogruppe gehört oder, ob der jeweils andere Elternteil zur Risikogruppe gehört.
Informationspflichten
Unabhängig von einem gemeinsamen Sorgerecht haben die Eltern wechselseitig die Pflicht, sich zu informieren, § 1686 BGB, dazu gehört auch die Information, dass ein Kind positiv getestet ist. Sofern der zum Umgang berechtigte Elternteil oder ein Haushaltsmitglied positiv getestet oder Quarantäne angeordnet ist, muss der jeweils andere Elternteil informiert werden und für die Dauer der Quarantäne der Umgang entfallen.
Pausieren des Umgangs „wegen Corona“
Nicht selten dürfte die Pandemie als willkommener Anlass dazu genutzt werden, dem zum umgangsberechtigten Elternteil den Umgang zu verwehren. Es stellt sich deshalb die Frage, ob bei der Vermeidung von Sozialkontakten auch der getrennt lebende Elternteil gehört.
Während der Wortlaut der Bundesregierung „Haushaltsangehörige“ lautet, hat beispielsweise der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet es „Kernfamilie“ genannt und auf Befragen eines Journalisten damit den getrennt lebenden Elternteil „natürlich“ mit gemeint.
Im Zeitalter der Patchworkfamilien dürfte diese Auffassung einer Überprüfung jedenfalls dann unterliegen, wenn mehrere Kinder aus mehreren Familien, Lebensgefährten, an den Wochenenden zusammentreffen. Dies gilt erst recht, wenn zusätzlich Partner/neue Partnerpartnerinnen im Gesundheitssystem tätig sind. In diesen Fällen dürfte es Sinn machen, zur Vermeidung von Ansteckungsketten, konsequent für eine gewisse Zeit den Umgang zu reduzieren, gegebenenfalls ausfallen zu lassen oder auf jeweils einzelne Kinder, die dann im Wechsel den jeweils anderen Teil besuchen können, zu beschränken. Gibt es keine konkreten Ansteckungsgefahren von Haushaltsangehörigen, keine Risikogruppen, dürfte eine Umgangsaussetzung nicht in Betracht kommen. Im Einzelfall werden die Gesundheitsgefahren auf der einen Seite mit dem Recht auf Umgang abzuwägen sein.
Immer eine Option ist die Aufrechterhaltung des Umgangs mit modernen Medien, z.B. Skype. Der Umgang wird dadurch zwar nicht in der gewohnten Intensität geführt, ist aber auch aus Grundrechtsaspekten gegebenenfalls für Zeiträume, in denen seitens der Regierung ein Kontaktverbot angeordnet ist, jedenfalls dann zu vertreten, wenn Risikogruppen oder andere, aufgezeigte Erschwernisse vorliegen.
Auf einen Umgang zwischen Großeltern und Enkelkindern sollte derzeit komplett verzichtet werden, eine entsprechende Haltung der jeweiligen Elternteile dürfte sich mit obigen Erwägungen begründen lassen.
Derjenige Elternteil, der über den Umgang mit dem Kind für beide Seiten neue potentielle Ansteckungsketten schafft, weil es dort viel Außenkontakte gibt, wird damit rechnen müssen, dass sich sein Umgangsrecht für einige Wochen mit dem Kind auf Videokontakte beschränken lassen wird.
Nachholung von Umgangstermine
Häufig vereinbaren die Eltern im Rahmen gerichtlicher Vereinbarungen, dass ausgefallene Umgangstermine bei Erkrankung des Kindes nachgeholt werden. Bei einer behördlich angeordneten Quarantäne, bei dem ein Umgang ausscheidet, ist schon aus zeitlichen Gründen eine Nachholung eines Umgangstermins ausgeschlossen. Ohnehin gibt es eine gesetzliche Regelung, dass wegen Erkrankung des Kindes oder häuslicher Quarantäne ausgefallener Umgangstermine ein solcher nachzuholen ist, nicht.
Kinderbetreuung – Notbetreuung
Sofern der Elternteil, der ein Umgangsrecht hat, zur Erziehung geeignet und zuverlässig ist, ist eine Einbindung dieses Elternteils in das Betreuungskonzept und eine Betreuung durch diesen Elternteil in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen dem Kindeswohl dienlicher als eine Notbetreuung, welche durch fremde Personen durchgeführt wird. Die gesellschaftliche Krise könnte dazu führen, das Getrenntleben der Eltern flexibler zusammenarbeiten (müssen).
Begleiteter Umgang / In Obhut genommene Kinder
Bei von Landesregierungen angeordneten Kontaktverboten werden diejenigen Elternteile, die auf begleiteten Umgang angewiesen sind, zumindest zeitweise die Verlierer sein, da die Institutionen, die zur Begleitung eingesetzt werden, gegebenenfalls während dieser Zeiten nicht zur Verfügung stehen/stehen dürfen.
Dasselbe gilt für Kinder, die in Jugendhilfeeinrichtungen/Heimen/Kleinsteinrichtungen untergebracht sind. Häufig haben Elternteile nur einmal im Monat die Gelegenheit, ihre Kinder in diesen Einrichtungen zu besuchen. Viele stationäre Einrichtungen setzen Heimfahrten untergebrachte Kinder und Jugendlicher ebenso wie Besuche von Eltern, also solcher Personen, die in den stationären Einrichtungen für den Betrieb nicht erforderlich sind, aus.
Um einer Entfremdung durch zu lange Unterbrechung des Umgangs entgegenzuwirken wird es erforderlich sein, ein Konzept zu entwickeln, um in gewissem Maße eine Form des Kontakts aufrechtzuerhalten. Neben telefonischen Kontakten oder Kontakte durch E-Mails, WhatsApp oder Briefen bietet sich-gerade bei kleineren Kindern-noch immer der Audio Kontakt per Skype an. Es bleibt zu hoffen, dass die Einrichtungen diese Möglichkeiten zur Verfügung stellen.